5% bis 2040 – schaffen wir das wirklich?
Am 12. Oktober 2022 veranstaltete das Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences bereits zum 5. Mal seine alljährliche Fachkonferenz, die auch dieses Jahr wieder in digitaler Form stattgefunden hat.
Prof. Dr. Heino Stöver hatte zur Fachkonferenz hochrangige Referentinnen und Referenten zum Thema „5% bis 2040 – schaffen wir das?“ – Erfolgversprechende Rauchentwöhnungsstrategien eingeladen, die Einblicke in verschiedene Themen und Strategien gaben, Erkenntnisse präsentierten und verschiedene Perspektiven diskutieren.
Prof. Dr. Stöver stimmte die rund 50 Fachtagungsteilnehmer in seiner Begrüßung auf die Thematik ein und führte sorgenvoll vor Augen, dass lt. der aktuellen DEBRA Studie 37,6% der Bevölkerung in Deutschland Tabakrauchprodukte konsumieren. Anstatt sich also wenigstens langsam auf dem Weg einer Reduzierung zu befinden, wie im Strategiepapier der Gesundheitsorganisationen – das WHO-konform die „Quit or Die“ Ideologie vertritt – gefordert, zeigt sich, dass ohne eine Differenzierung der Produkte nach ihrem Schadenspotential und einer damit verbunden Diversifikation der Rauchentwöhnungsstrategien, die 5% bis 2040 wohl eher nicht zu erreichen sind.
Redaktionsanmerkung: Die Verweigerung einer auf Tobacco Harm Reduction hin orientierten Politik sorgt – angesichts der dramatischen aktuellen Entwicklung – dafür, dass die Anzahl der Tabakzigarettenraucher weiter steigen statt sinken wird.
Als erster Konferenzbeitrag beleuchtete Prof. Dr. Martin Storck (Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe) die neuesten Erkenntnisse zum Thema Dual-Use.
Während in der Vergangenheit der sogenannte Dual-Use (also die parallele Verwendung von Tabakrauchprodukten und E-Zigaretten, bzw. Heat-Not-Burn-Produkten unter gleichzeitiger Verringerung der Anzahl konsumierter Tabakzigaretten) als des Satans schlimmster Alptraum betitelt wurde, hat sich zwischenzeitlich auch medizinisch klar herausgestellt, dass jede (auch im Dual-Use) nicht gerauchte Tabakzigarette, eine Reduzierung der Schadstoffbelastung darstellt. Zudem präsentierte Prof. Dr. Storck, dass eine Verwendung im Dual-Use – auf lange Sicht – viel häufiger zum vollständigen Stopp des Tabakzigarettenkonsums führt, als es klassische Rauchentwöhnungspräparate vermögen.
Auch das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko von Dual-Usern ist laut einer aktuellen Studie (Jana L Hirschtick et al. Nicotin Tob Res. 2022) weitaus geringer als bei Personen, die ausschließlich Tabakrauchprodukte verwenden.
Über die Präsentation einer EU-Umfrage stellte Prof. Dr. Storck zudem klar, dass es den sogenannten „Gateway-Effekt“ eigentlich gar nicht gibt und E-Zigaretten auch bei Kindern und Jugendlichen so gut wie nicht dazu verwendet werden, um mit dem Rauchen von Tabakzigaretten anzufangen. Allerdings zeigt die EU-Umfrage deutlich, dass die E-Zigarette aktuell das Hilfsmittel schlecht hin ist, wenn es um die Beendigung des Tabakrauchkonsums geht.
Zum Dual-Use kommt es oft deshalb, da aufgrund des niedrigeren Nikotingehalts in Flüssigkeiten für E-Zigaretten weiter Tabakzigaretten „zugeraucht“ werden, um den bisher gewohnten Nikotinlevel aufrecht erhalten zu können.
Redaktionell könnte man daher zu dem Schluss kommen, ja „5% bis 2040“ ist unter anderem dann möglich, wenn der erlaubte Nikotingehalt in Flüssigkeiten für E-Zigaretten die derzeitige gesetzlich festgelegte Maximalgrenze von 20mg/ml im Einzelfall übersteigen dürfte. Das könnte ein „dazurauchen“ für diese Personen überflüssig machen und somit den Dual-Use durchaus vollständig abschaffen.
Im Anschluss präsentierte Delon Human (Physiker und globaler Gesundheitspolitiker, sowie Präsident der Health Diplomats) die „RESET“ Initiative, die sich für regulatorische Prinzipien einsetzt, um das Thema Tobacco Harm Reduction weltweit noch stärker in den Fokus zu rücken.
R – RISK-BASED REGULATION
E – ENSURING INTENDED USE
S – SAFETY AND QUALITY
E – ENVIRONMENTAL CONSIDERATIONS
T – TRACEABILITY & FISCAL POLICIES
Die Internetseite der Health Diplomats befindet sich derzeit noch im Aufbau und geht demnächst an den Start.
Redaktionell bleibt festzuhalten: Wenn man sich weltweit die nach wie vor steigenden Zahlen von TabakzigarettenkonsumentInnen ansieht, sollte eigentlich jedem klar sein, dass die jetzt lange genug von der WHO und einigen Philanthropen ausgegebene Ideologie „QUIT or DIE“ eben nicht zur Erreichung des Ziels „5% bis 2040“ beiträgt und von daher neue Herangehensweise notwendig sind. It’s time to RESET!
Univ. Doz. Dr. Ernest Groman (Nikotin Institut, Wien) gab anschließend Einblicke in die betriebliche Gesundheitsförderung/Rauchentwöhnung, die in Österreich bereits seit den 1990er Jahren mit teils gutem Erfolg durchgeführt wird.
Die Arbeit in Betrieben erfordert sicher ein gutes Maß an Ausdauer und gute Kontakte zu Unternehmensleitungen, aber mit entsprechenden Angeboten und der langjährigen Erfahrung, trägt diese Basisarbeit – direkt mit den Betroffenen – sicher mehr Früchte als jede Plakatkampagne, die im Werbedschungel der Großstädte untergeht.
Auch aus Deutschland kennen wir solche Programme, die teilweise von den Unternehmen dahingehend gefördert wurden, Mitarbeitern mehr Freizeit, oder auch Sondervergütungen zu gewähren, wenn sie den Absprung von der Tabakzigarette schafften. Klar, die Unternehmen haben aktuell große Herausforderungen zu bewältigen, so dass es verständlich ist, dass solche Programme derzeit aus dem Fokus der Unternehmen gerückt sind.
Redaktionsanmerkung: Trotzdem ist und bleibt eine solche Basisarbeit unumgänglich, wenn man überhaupt nur ein einzelnes Prozent von der heutigen Tabakrauchprävalenz bis 2040 verlieren möchte.
Prof. Dr. Bernd Mayer (Universität Graz) referierte unter dem Titel: „Nikotin – schuld an allem?“ über die Missverständnisse und Fakten zur frühzeitigen Sterblichkeit Rauchender und präsentierte dazu viele bereits bekannte, aber auch in aktuellen Studien erneut bestätigte Erkenntnisse zum Nikotin.
Insbesondere die Verdeutlichung, dass sich die Belastungen des Körpers bereits nach wenigen Tagen signifikant verringert, wenn die Nikotinzufuhr beispielsweise nur noch über E-Zigaretten oder Heat-Not-Burn-Produkte im Vergleich zu Tabakrauchprodukten erfolgt, ist beeindruckend und unterstreicht, dass man Nikotin nicht allein und schon gar nicht aus Vereinfachungsgründen heraus den schwarzen Peter unterjubeln darf.
Die vielen körperbelastenden Schadstoffe, die allein durch den Verbrennungsprozess entstehen und letztendlich zu beispielsweise Herz- und Kreislauferkrankungen etc. führen, bleiben bei der aktuellen ausschließlichen Nikotin-Fokussierung unbeachtet und führen dazu, dass alternative Nikotinabgabesysteme – wie beispielsweise die E-Zigarette – völlig aus dem Kontext, als eigentlich wichtige Tobacco Harm Reduction Komponente, gerissen werden.
Redaktionell bleibt daraus die Erkenntnis, dass durch die Reduzierung der Problematik alleine auf den Stoff Nikotin die eigentlichen Übeltäter (Schadstoffe aus Verbrennungsprozessen) verharmlost werden. Will man also nochmal richtig Gas geben, um das Ziel 5 % bis 2040 auch wirklich erreichen zu wollen, bleibt es unumgänglich, die wahren Schuldigen an der frühzeitigen Sterblichkeit Rauchender – auch über eine Tobacco Harm Reduction orientiertere Politik – zu publizieren.
Dr. Konstantinos Farsalinos (University of Patras, Griechenland), dessen Studien nicht nur weltweite Aufmerksamkeit erfahren, sondern bereits auch mehrfach von den anderen Referenten zitiert wurden, hatte sich dem eigentlich aktuellsten Thema des Tages gewidmet und seinen Vortrag „Jetzt wird’s geschmacklos – Debatte um Aromen – was wir wissen, was wir wissen sollten“ präsentiert.
Insgesamt 104 Studien, die sich mit erwachsenen Umsteigern von der Tabakzigarette zur E-Zigarette beschäftigten, wurden ausgewertet, die alle zur einheitlichen Aussage kamen, dass ein Umstieg zur wesentlich weniger schädlichen E-Zigarette im Vergleich zur Tabakzigarette nur dadurch so erfolgreich vollzogen werden konnte, da den Umstiegswilligen ausreichend alternative Geschmacksrichtungen angeboten werden konnten.
Dabei lag der Anteil derer, die fruchtig süße Geschmacksrichtungen bevorzugen nicht nur gegenüber Mentholaroma weit vorne, sondern auch extrem weit vorne gegenüber Tabakgeschmäckern, die zudem über Aromen auch nur sehr schwer nachzubilden sind und oftmals gar nicht nach Tabak schmecken.
Dr. Farsalinos führte darüber hinaus aus, dass fruchtig süße Geschmacksrichtungen in beispielsweise Lebensmitteln und Getränken kein Privileg der Jugend sind, sondern mindestens genauso häufig von erwachsenen Konsumenten bevorzugt werden.
Würde man daher erwachsenen Konsumenten von Tabakrauchprodukten die Aromen aus den wesentlich weniger schädlichen E-Zigarettenprodukten mittels eines Aromaverbotes nehmen, würde der konkurrenzfähigste Vorteil – von der Tabakzigarette über die E-Zigarette wegzukommen – schlagartig entfallen.
Redaktionsanmerkung: Angesichts der guten Tobacco Harm Reduction Erfolge, die aktuell mit Hilfe der E-Zigarette erreicht werden, sicher kein probates Mittel, um das Ziel 5% bis 2040 erreichen zu können.
Mit seinem Vortrag „Aromen: Relevanz aus Sicht der Verbraucher“ setzte Simon Bauer (1. geschäftsführender Vorstand vom BVRA – Bundesverband rauchfreie Alternative e.V.) die Aromathematik weiter fort.
Zu Beginn erläuterte er den gerade bei der Diskussion um Aromen in Flüssigkeiten für E-Zigaretten bestehenden Mangel an realem Kontext. Denn auch Aromen werden derzeit von den E-Zigarettengegnern völlig aus dem Kontext gerissen, um eine vermeintliche Schädlichkeit und das Verführungspotenzial gegenüber Kindern und Jugendlichen „beweisen“ zu können.
Aus Sicht der erwachsenen E-Zigarettenkonsumenten, die – laut der von Simon Bauer genannten Erhebung des BMG in 2016 – auch nur zu einem Prozent aus ehemaligen Nichtrauchern und zu 99% aus erwachsenen ehemaligen Tabakzigarettenkonsumenten bestehen, werden Aromen einem Liquid nicht zugesetzt, sie sind integraler Bestandteil und damit auch Selbstzweck.
Auch Simon Bauer stellte die Frage nach der Privilegierung von Kindern und Jugendlichen beim Konsum fruchtig süßer Geschmacksrichtungen und warum Erwachsene keine süßen oder fruchtige Geschmäcker konsumieren sollten oder gar diese nicht wollten.
Im Verlauf ging er dann auf die Risiken eines generellen Aromaverbotes ein und führte aus, dass mit einem generellen Verbot eine automatische Verdrängung in den Grau- und Schwarzmarkt erfolgt, der damit dann auch völlig ohne Kinder- und Jugendschutz auskommen muss.
Zudem können extrem gesundheitsgefährdende Mixturen entstehen, wenn experimentelles Mischen ohne Hintergrundwissen mit nicht oder nur mangelhaft oder auch wissentlich falsch deklarierten Inhaltsstoffen zur Regel wird.
Vergreift man sich beispielsweise im Supermarkt im Regal und mischt versehentlich ein auf Öl basierendes Backaroma in eine E-Zigarette, können bereits beim ersten Gebrauch einer solchen Mixtur schwere gesundheitliche Schäden entstehen, gegen die die bisher auch in den schwärzesten Darstellungen genannten gesundheitlichen Risiken einer E-Zigarette nur ein leichtes Hüsteln darstellen.
Insofern dürfen Kontext und Relation von keinem für und wider verzerrt werden, um nicht im völligen Chaos zu versinken.
Redaktionell bleibt die Aussage im Gedächtnis: „Aromen werden einem Liquid für E-Zigaretten nicht zugesetzt, sie sind integraler Bestandteil“.
Prof. Dr. Heino Stöver (ISFF, Frankfurt University of Applied Sciences) folgte mit seinem Vortrag „Rauchende Möbelpacker*innen, nicht-rauchende Amtsrichter*innen – Soziale und gesundheitliche Ungleichheit in der Rauchprävalenz“ und erörterte die einzelnen Unterschiede bei den TabakrauchkonsumentInnen.
Dabei zählten zu den betrachteten Unterscheidungsmerkmalen das Geschlecht, das Alter, der Bildungsstand und das Haushaltseinkommen bezogen auf die Phasen aktueller Tabakrauchkonsum, ehemaliger Tabakrauchkonsum und niemals Tabakrauchkonsum. Daneben beleuchtete er die Situation des Passivrauchens, das einen nicht unerheblichen Einfluss darauf hat, ob passiv rauchende Kinder und Jugendliche selbst zu Rauchern werden oder nicht.
Eine Beobachtung der Verwendung von E-Zigaretten oder Heat-Not-Burn-Produkten wurde dabei nicht vorgenommen.
Im Ergebnis kam heraus, dass Männer wesentlich öfter Tabakrauchprodukte konsumieren als Frauen, dass das durchschnittliche Alter der Tabakrauchkonsumenten zwischen 25 und 39 Jahren liegt und im Alter stetig abnimmt (Anzahl der Exraucher steigt), Menschen mit geringerem Schulabschluss weitaus häufiger zur Tabakzigarette greifen und auch im Alter damit wesentlich seltener wieder aufhören und je niedriger das Haushaltseinkommen ist, desto mehr wird für den Erwerb von Tabakrauchprodukten von diesem herangezogen.
Redaktionell bezogen auf die Fragestellung 5% bis 2040 lässt sich daraus eigentlich ganz einfach der Auftrag an die Politik erkennen: Bildungsstand und Einkommen der Bevölkerung flächendeckend erhöhen, dann sinkt der Tabakrauchkonsum erheblich!
So einfach macht es sich Prof. Dr. Stöver natürlich nicht, er sieht daher die nachfolgenden politischen und individuellen Konsequenzen als zielführend an:
- Preispolitik
- Lebensweltnah und zielgruppenspezifisch ansprechen
- Realistische Zielsetzungen – auch unterhalb der Abstinenz
- Zieloffene Suchtarbeit
- Geschlechter-/Kultursensibel
- Tobacco Harm Reduction
- Betroffene zu Beteiligten machen
Zum Abschluss der Konferenz präsentierte Dr. Bernd Werse (Centre for Drug Research, Goethe Universität Frankfurt) erste Ergebnisse aus der aktuell noch laufenden „Die RauS-Studie – Vielfalt der individuellen Strategien aus der Tabakabhängigkeit“
Angesichts mangelnder Erkenntnisse darüber, was wirklich dabei hilft, mit dem Rauchen aufzuhören, haben Dr. Bernd Werse (Goethe-Universität Frankfurt, Centre for Drug Research), Heino Stöver (ISFF Frankfurt), Kirsten Lehmann und Silke Kuhn (ZIS Hamburg) die RauS-Studie ins Leben gerufen.
Es gibt einige wenige als evidenzbasiert geltende Rauchstoppmethoden: Ärztliche bzw. telefonische Beratung, Einzel- oder Gruppentherapie, Nikotinersatztherapie (Kaugummi, Pflaster u.a.) und medikamentengestützte Behandlung, die jedoch nur bei einem kleinen Teil der Rauchstoppversuche angewendet wird (DEBRA: Nur 13% beim letzten Rauchstopp).
Als häufigste Methode steht nach wie vor die eigene Willenskraft mit rd. 60% in den Statistiken, allerdings sind weitere Faktoren von Interesse, die unterstützend oder auch störend wirken können.
Die ersten Ergebnisse der Studie wurden in zwei Personengruppen geteilt, da im ersten Rekrutierungszeitraum ein überwiegend hoher Anteil (4.847) an E-Zigarettenverwendern an der Studie teilnahm. Im zweiten Rekrutierungszeitraum nahmen mehr Tabakzigarettenverwender (2.358) teil, so dass die Ergebnisse vorläufig für sich betrachtet wurden.
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Redaktionsanmerkung: Die RauS-Studie ist nach wie vor aktiv. Interessierte können nach wie vor an der Studie – www.raus-studie.de – teilnehmen. Mitmachen lohnt sich, denn je eher die Wissenslücken der Wissenschaftler und damit auch der Politiker geschlossen werden, umso eher können Maßnahmen ergriffen werden, die über den engen Tellerrand der evidenzbasierten Methoden hinausgehen und Tobacco Harm Reduction den Stellenwert erhält, um das Ziel 5% bis 2040 überhaupt noch im Raum stehen lassen zu können.
Wir sagen Danke an Prof. Dr. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences für die Durchführung der sehr informativen Fachkonferenz und freuen uns auf die Veranstaltung im nächsten Jahr, die ebenfalls im Oktober stattfinden soll.